ZEIT ONLINE

2022-11-07 16:45:21 By : Mr. Michael lin

Kann man ein Hotel riechen, bevor man es sieht? Bei diesem funktioniert es vielleicht. Ich gehe durch die katalanische Provinzhauptstadt Girona, der Casa Cacao entgegen. Das 15-Zimmer-Hotel ist die jüngste Unternehmung der drei Brüder Joan, Josep und Jordi Roca, die der Stadt mit ihrem Drei-Sterne-Restaurant Celler de Can Roca so etwas wie kulinarischen Weltruhm beschert haben. Inzwischen betreibt die Familie mehrere Restaurants, Bars, Eisdielen – und nun auch die Casa Cacao, in der neben dem Hotel noch eine Schokoladenmanufaktur untergebracht ist.

Irgendwann mischt sich tatsächlich eine leichte Kakaonote in den städtischen Geruch aus Lüftungsgebläse, Parfüms und Essens-Allerlei. Casa Cacao steht in schlichten Lettern auf der Fassade eines schmucken Eckhauses. Hinter Schaufenstern glänzen Conchiermaschinen und Röstofen, an einem Holztisch sortieren zwei Männer in hellbrauner Schürze Kakaobohnen. Hier muss es sein. Und doch liegt der Eingang zum Hotel versteckt in einer Seitengasse. Vielleicht ein Teil des Konzepts, denn Hotel und Schokoladenproduktion sind strikt getrennte Geschäftsbereiche.

Bei der Gästebetreuung hat Anna Payet den Hut auf, die Ehefrau von Joan Roca, dem ältesten der drei Brüder. Das Hotel ist ihr Herzensprojekt; sie hat ihre Reiseerfahrung aus über drei Jahrzehnten an der Seite eines international gefragten Küchenchefs einfließen lassen.

Etwaigen Ankunftsstress dimmt bereits die Rezeption mithilfe von sanftem Licht und holzverkleideten Wänden. Durch die Glasscheibe werfe ich noch einen Blick auf die werkelnden Männer in der Schokowerkstatt, dann gehe ich aufs Zimmer, wo mit einem satten Plopp die Tür ins Schloss fällt und der Rest der Welt mit einem Mal draußen bleibt.

Die maßgetischlerten Möbel sind von modernen Klassikern inspiriert, die Textilien auf Bett und Sofa, die Schiebetüren zum Bad: eine Symphonie aus fein aufeinander abgestimmten Grau- und, natürlich, Kakaotönen, von 30-Prozent-Milchschokolade über Nuss-Nougat bis 75-Prozent-Zartbitter. Das Plaid auf dem Bett ist aus dick gewebter, karamellfarbener Wolle; der Teppich auf den sandgrauen Terrazzo-Platten leuchtet erdnussbutterfarben. In solchen Räumen zieht man sich automatisch die Schuhe aus.

Als Willkommensgruß finde ich einen Schokoladentaler auf einem Tellerchen. Die Kakaobohnen dafür haben die peruanischen Awajún angebaut, steht auf dem Kärtchen daneben. Ich lasse mich aufs Sofa fallen und koste. Bergamotte-Aromen steigen in die Nase. Dann ziehen sich die Geschmacksknospen kurz zusammen und funken Pflaume und Kirsche ans Hirn. Ungewöhnlich, aber interessant.

In dem demonstrativ auf den Sofatisch drapierten Bildband Casa Cacao erklärt Dessertmeister Jordi Roca, dass solche Fruchtaromen eigentlich in allen Kakaobohnen steckten, in der Regel aber durch zu starkes und langes Rösten vernichtet würden. Die Bohnen, die die Casa Cacao bezieht, verarbeiten Roca und sein Chef-Chocolatier Damian Allsop daher lieber selbst, zwei Stockwerke unter mir.

Geschätzte weitere acht Kilo Lektüre aus der Roca-Welt warten in einem Regal unter dem Wandschrank, knapp drei Jahrzehnte in der Sterne-Riege liefern eine Menge Stoff. Ich könnte mich jetzt im Selbststudium in das kulinarische Universum des Clans einarbeiten. Vielleicht eines der klassischen katalanischen Rezepte der Matriarchin Montserrat abschreiben. Oder versuchen zu verstehen, wie sich das heliumgefüllte Schäumchen, aus dem in einer der jüngsten Nachtischkreationen Pilz- und Honig-Aromen auf ein Bett aus Rote-Bete-Gelee und Johannisbrot-Keks tropfen, über dem Teller hält.

Aber Probieren hat natürlich Vorrang. Der Celler de Can Roca ist über Monate ausgebucht, also wähle ich die naheliegendste Option: die Bar Cacao gleich auf der anderen Straßenseite. Ich ergattere einen Barhocker mit Blick auf die gläserne Werkstatt und wähle einen Klassiker aus dem Standardprogramm süßer katalanischer Nachmittagsimbisse: Den suis, den "Schweizer", den auch hier ein Hochgebirge aus Schlagsahne ziert. Doch die heiße Schokolade darunter hat nichts mit der puddingartigen Masse zu tun, die anderswo serviert wird. Mit neu erworbenem Kennernicken registriere ich eine leichte Aprikosensäure. Das Grundschulkind am Tisch nebenan hat das Gleiche bestellt und verzieht das Gesicht, die Kellnerin quittiert es mit einem verständnisvollen "Schmeckt eben ungewohnt" und versöhnt mit einem hausgemachten Schokoladencroissant. Sehr nett, die Bodenhaftung hat man bei den Rocas anscheinend nicht verloren.

Abends blicke ich von der Hotelterrasse über die trutzigen Türme der mittelalterlichen Altstadt, in der Hand einen sehr trockenen Cava. Die Kakao-Cocktails auf der Karte überlasse ich den Youngsters, die ihre Instagram-Accounts bestücken. Man darf es mit der Schokolade nicht übertreiben, schließlich wird am Morgen auf der Terrasse gleich wieder ein fünfgängiges "kulinarisches Frühstück" serviert.

Und das hat es in sich. Der Ouvertüre aus Waldfrüchten (mit Kakaosoße) folgt ein Parcours durch die Welt katalanischer Wurst-, Käse- und Pilzdelikatessen, gekrönt von einem Dessert-Turm, bei dem allein der xuixo, ein mit Schokoladencreme gefüllter süßer Krapfen, eine halbe Mahlzeit ersetzt.

Gut, dass erst mittags Check-out ist. So kann ich mich, etwas erschöpft, noch mal dem zarten Schmelz des Zimmers hingeben, garantiert kalorienfrei. 

Carrer Ginesta 2, Girona, Spanien. hotelcasacacao.com, DZ (inkl. kulinarischen Frühstücks) ab 220 Euro.

Wer keine Lust auf die monatelangen Wartelisten im Celler de Can Roca hat, reserviert im neuen, bodenständigen Roca-Restaurant Normal in der Altstadt, wo gehobene Klassiker auf den Tisch kommen.

Liest sich sehr lecker! Herzlichen Glückwunsch zum guten Job! In Barcelona wollte ich auch gern einmal leben. Und in Girona ist natürlich auch nicht schlecht!

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