Miniaturhydraulik: In der Luft- und Raumfahrt zählt jedes Teil

2022-11-07 17:02:59 By : Ms. Leo Li

15.11.2021 – Kategorie: Komponenten & Systeme

Komponenten in der Luft- und Raumfahrt mögen zwar manchmal redundant ausgelegt sein – unwichtig ist aber keine von ihnen. Das ist nur einer der Aspekte, die wir mit Jürgen Prochno, Deutschland-Chef von Lee, klären.

Das ist nur einer der Aspekte, die wir mit Jürgen Prochno, Deutschland-Chef von Lee, dem Spezialisten für Miniaturhydraulik, klären.

Guten Tag Herr Prochno – wir haben in dieser Ausgabe ein Special zur Luft- und Raumfahrt. Und Lee ist ja in diesem Bereich groß geworden, oder?

Jürgen Prochno: Um ganz korrekt zu sein, ursprünglich in der Luftfahrt. Der Firmengründer, Leighton Lee II, arbeitete in den 1940er Jahren zunächst bei Chandler-Evans und entwickelte dort Treibstoffsteuerungen für Düsentriebwerke. Anschließend machte er sich selbstständig und hat Auftragsarbeiten aus der Luftfahrt angenommen. Es gab zu der Zeit einen immensen Innovationsdruck bei den Steuerungen der Flugzeuge: Vieles funktionierte noch mit Seilzügen. Als die Flugzeuge größer wurden und Düsentriebwerke die Propeller-Antriebe verdrängten, änderte dies alles. Hydrauliksysteme hielten verstärkt Einzug und deren Drücke nahmen rasant zu.

Leighton stand vor einer Herausforderung, die das Unternehmen bis heute formt: Die Schraubstopfen mit Dichtungen, wie sie die Flugzeugkonstrukteure bis dato nutzten, waren nicht dicht genug. Leighton erfand ein zweiteiliges Verschluss-Element, den LeePlug, der bis heute Standard in vielen Komponenten und Anwendungen ist. Das war auch die Geburtsstunde unserer anderen Produkte für die Hydraulik: Ventile, Drosseln und mehr – die meisten unserer Komponenten sind mit dem Grundprinzip des Expansionsverschlusses ausgestattet.

Wie ist das, wenn man in den großen Projekten der Luftfahrt mit so kleinen Bauteilen unterwegs ist?

Prochno: Die Luftfahrt-Ingenieure haben uns nie das Gefühl gegeben, dass unsere Komponenten unwichtig seien. Im Gegenteil: Sie stellen stets hohe Qualitätsanforderungen an alle Bauteile – damals wie heute. Auch wenn die Hauptbestandteile der Flugsteuerung zwei bis dreifach redundant ausgelegt sind: Alles muss funktionieren. Wenn ein Flugzeug in der Luft ist, dann gibt es kein unwichtiges Teil. Leichtbau und Miniaturisierung, also Miniaturhydraulik, ist gerade da oben schon immer ein Muss.

Heute läuft daher vieles elektro-hydraulisch. Es gibt immer weniger die große, zentrale Versorgung aus der Mitte des Flugzeugs. Dezentrale Einheiten aus Pumpe, Tank und Zylinder werden nun elektronisch angesteuert. Hier gibt es unzählige Ausprägungen und Kombinationen. Wir liefern also essentielle Teile, die permanent funktionieren müssen. Deshalb hat Lee schon immer eine 100-Prozent-Kontrolle seiner Komponenten umgesetzt. Auch heute gibt es keine Prüflose – wir untersuchen jedes einzelne Teil, bevor es rausgeht.

Auch wenn es in andere Industriezweige geht?

Prochno: Ob Luftfahrt oder nicht – wir bedienen stets anspruchsvolle Branchen. Seit rund 40 Jahren sind wir auch im Automotive-Bereich und der Medizintechnik unterwegs. Da wird ebenfalls jedes Ventil meist automatisiert auf Funktion gecheckt, auch wenn das Produkt nur rund einen Dollar kostet. Wir prüfen alle wichtigen Parameter, wie den Durchfluss, Öffnungsdruck, Dichtheit und einige mehr. Alle Spezifikationen müssen passen.

Aber nochmal zurück. Wie kam Lee in die Raumfahrt?

Prochno: In den 1950er Jahren lieferten wir bereits Komponenten an Unternehmen wie Boeing, Lockheed Martin und Raytheon. Alles Unternehmen die auch Aufträge aus der aufstrebenden Raumfahrt erhielten. Da partizipierten wir dann von Anfang an: Sogar Neil Armstrong hatte eine Drossel von uns in seiner Sauerstoffversorgung, als er den Mond betrat. Aktuell ist die Raumfahrt wieder ein sehr spannendes Feld: Der Trend hin zu wiederverwendbaren Raketen, um Satelliten preiswerter ins All zu bringen, betrifft uns direkt: Sie müssen die Raketen wieder kontrolliert zurückfliegen und sicher landen. Hydraulik ist da essentiell: Sie fahren damit Kufen aus und meistern den Rückflug, indem Sie über Hydraulik-Komponenten die Turbine steuern um die Lage zu regeln. Sie schießen eine Rakete 50 Kilometer hoch, richten sie aus und fliegen sie langsam wieder zurück – ohne Fallschirm. Und auch in der bemannten Raumfahrt tut sich wieder etwas: Leute sollen sicher zur ISS, auf den Mond und absehbar auch auf den Mars reisen.

Damit ist Lee sicher ein Unternehmen, das viele Ingenieure in den unterschiedlichsten Bereichen anspricht. Wie viele Ihrer weltweit 1000 Mitarbeiter sind Techniker?

Prochno: Wir sind tatsächlich sehr Techniker-lastig. Viele Leeianer sind Ingenieure oder haben einen technischen Background. Selbst hier in Frankfurt arbeiten überwiegend Ingenieure und auch weltweit sind wir Technologie-getrieben. Das mag der Grund dafür sein, weshalb wir nicht durch nennenswerte Zukäufe gewachsen sind, sondern durch technische Weiterentwicklung. Diese Detailverliebtheit macht uns aus. Ich schätze das sehr, bin bereits in meinem 28. Jahr bei Lee und kein Einzelfall von langer Zugehörigkeit. Nur mit treuen Mitarbeitern ist es möglich, in unseren Branchen, Produkte abzuliefern, die die Anwender zufriedenstellen. Sie verstehen unsere Werte: Beratung, kundenspezifische Anpassungen und ein Produkt, das auch auf den Mond sicher funktioniert.

Also kommt Ihr Wachstum aus der Forschung – gilt das auch in der Krise? Was sind die aktuellen Ergebnisse?

Prochno: Forschung ist bei uns essentiell. Selbst in der Corona-Zeit haben wir deshalb niemanden entlassen oder in Kurzarbeit geschickt. Natürlich haben wir versucht, zu sparen und mit Neuanstellungen gewartet. Aber nun suchen wir auch wieder Mitarbeiter in den USA. Dabei hat uns die Krise als Luftfahrt-Lieferant natürlich getroffen und die Branche wird auch noch eine gewisse Zeit leiden. Aber wir haben heute zum Glück weitere Standbeine – und es werden mehr. Wir bringen jetzt gerade eine Miniatur-Hochdruck-Pumpe auf den Weg, die unterschiedlichste Treibstoffe managen kann. Sie können sie fast überall nutzen: Für Drohnen, im Onshore- oder Offshore-Bereich oder auch für Bergbau-Werkzeuge Untertage. Wir haben die Ruhe gut nutzen können. Vielleicht klingt es komisch: Aber Raumfahrt und Medizintechnik haben uns 2020 sehr geholfen.

Wie ist denn Ihr Branchenmix für die Miniaturhydraulik ?

Prochno: Das ist national sehr unterschiedlich. In den USA gehen 70 Prozent in die Luftfahrt. Aber die Produkte aus der Luftfahrt werden auch in hohen Motorsportklassen wie der Formel 1 genutzt. Weitere Standbeine sind die Medizintechnik und der Automotive-Bereich. In Mitteleuropa sind wir hingegen zu 60 Prozent in der Automobilindustrie engagiert und da insbesondere in Schwerlast- und Nahverkehrsanwendungen vertreten. Unsere Miniaturhydraulik steckt jedoch ebenso in modernen Bearbeitungsmaschinen und Spannvorrichtungen für die Fertigungsindustrie oder beispielsweise in Schiffsantrieben. Medizintechnik ist ebenfalls ein wachsendes Anwendungsfeld – beispielsweise sitzt unsere Hydraulik in Knie- und Fuß-Gelenken von Prothesen, aber auch in Sauerstoff- beziehungsweise Beatmungsgeräten.

Viele sprechen heute davon, Fluidik durch Elektrik zu ersetzen. Können Sie da ruhig schlafen?

Prochno: Es gibt da solche und solche Anwendungen. Wie erwähnt, entfällt heute oft der große Hydraulik-Versorgungs-Apparat. Da ist das Flugzeug nur ein Beispiel. Also haben wir keinen zentralen Tank mehr in der Mitte des Gesamtsystems und zahllose Leitungen zu den verteilten Abnehmern. Vielleicht wird man in manchen Anwendungen bei den verteilten Antrieben auch mal einen elektrischen Motor nutzen können. Aber wenn die Ingenieure sehen, wie klein eine hydraulische Einheit im Vergleich ist, und welche Kraft sie aufbringt gegenüber einem ähnlich großen Elektromotor samt Batterie und Verkabelung, dann gibt es genügend Anwendungen, in denen die Miniaturhydraulik bestehen kann. Den nächtlichen Schlaf braucht das niemanden zu rauben.

Ich hatte im Studium den Auftrag, einen Motoren-Prüfstand für Elektromotoren zu konzipieren, meine Wahl war ebenfalls ein Hydraulik-Antrieb…

Prochno: …weil sich die Kraft der Pumpe über die Übertragung durch die Flüssigkeit vervielfältigen lässt. Ein rein elektrisch angetriebener Teststand wäre viel größer und würde sehr viel mehr Strom ziehen. Oder Sie müssten ein großes, schweres und auch teures Getriebe anflanschen. Womit wir bei Wirtschaftlichkeit, Leichtbau und Miniaturisierung sind: Wir sind in mobilen Anwendungen zuhause. Nicht nur in der Luftfahrt oder im Weltraum spielt das Gewicht und der Platzbedarf (und damit die Miniaturhydraulik) eine essentielle Rolle.

Das beißt sich manchmal mit dem Streben zur Elektrifizierung – wenn Sie beispielsweise Elektro-LKWs statt solche mit Diesel auf die Straße schicken, dann würden wir unsere Komponenten im Adblue-Management natürlich auch weniger verkaufen. Jedoch steht vorher im Raum, wie sinnhaft ein reiner Elektro-LKW wirklich wäre. Die großen Batterien sind dauerhaft immens schwer, ein Tank wird im Gegensatz zu diesen auf der Fahrt leichter und ist selbst noch aus leichterem Kunststoff statt aus seltenen Erden und so weiter gebaut. Flugzeug, LKW oder Baukran: Die Frage ist immer, welcher Hauptantrieb und welche Nebenaggregate sind optimal, wenn man alles in Betracht zieht. Es gilt in Alternativen zu denken: Die Wasserstoff-Strategie erscheint da in Kombination ein weiteres wichtiges Puzzleteil zu sein. Es muss wirklich der gesamte ökologische Fußabdruck betrachtet werden und eben nicht einem politischen Hype hinterhergerannt werden.

An welcher Stelle bewegt sich die Luftfahrt denn hier gerade besonders?

Prochno: Riesenflieger wie den A380 wird es erstmal nicht mehr geben. Die Flugzeuge werden, wie Airbus A320 Neo und A220, eher kleiner und leichter. Sie erhalten leisere und sparsamere Triebwerke, die gerade entwickelt und weiterentwickelt werden. Dafür braucht es ein noch feineres Management der Turbine, tiefgreifende Konstruktionsanpassungen und sehr saubere Kraftstoffe. Brennstoffzellen sind auch ein Thema, wenn es um Nebenaggregate geht. Diese Entwicklungsarbeit ist nötig, um wirtschaftlich sinnvolle und möglichst umweltschonende Flugzeuge für die Zukunft in die Luft zu bringen. Wir freuen uns, an diesen Entwicklungen beteiligt zu sein.

Kann die Luftfahrt denn jemals komplett grün werden?

Prochno: Als Ingenieur ist mir klar, dass wir immer mit einem gewissen Fußabdruck durchs Leben gehen werden. Wir können diesen versuchen so weit wie möglich zu verkleinern oder zu kompensieren, unter anderem mit technischen Mitteln. Das gilt auch fürs Fliegen. In unserer globalisierten Welt sind wir teils darauf angewiesen, schnell in Amerika oder Asien präsent zu sein. Zwar haben wir jetzt gelernt, dass sich so manches Präsenz-Meeting mit einem Video-Call einsparen lässt – aber wir werden das Fliegen nicht komplett einstellen wollen und können.

Auch sehe ich aus der technischen Sicht nicht, dass wir aktuell absehbar eine völlig umweltneutrale Fortbewegung ermöglichen können. Man müsste das anderweitig kompensieren. Aber vor einem dreiviertel Jahrhundert dachte man ja auch noch, eine Handvoll Groß-Computer, mehr wird die Menschheit nicht brauchen. Also wir wissen auch nicht, was noch kommt. Aber wir von Lee sind auch künftig bereit, uns den Herausforderungen zu stellen.

Die Fragen stellte Jan Bihn, Redakteur Digital Engineering Magazin.

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