"90 Jahre Politik" – jetzt reicht es dem "Hühnerbaron" - Hamburger Abendblatt

2022-11-07 16:32:44 By : Mr. Paul Rain

Abschied nach fast 20 Jahren im niedersächsischen Landtag: "Hühnerbaron" Heiner Schönecke ist zur Landtagswahl 2022 nicht mehr angetreten und setzt ab sofort andere Prioritäten.

Foto: Sabine Lepél / HA

Heiner Schönecke ist zwar erst 76 Jahre alt – trotzdem kommt er nach eigener Rechnung auf fast ein Jahrhundert Politikerfahrung.

Elstorf.  Eine Straße ist eng verbunden mit dem Lebensweg von Heiner Schönecke: die B3, eine der längsten Bundesstraßen Deutschlands. Sie führt auf rund 800 Kilometern von Buxtehude im Norden bis nach Weil am Rhein, kurz vor der Schweizer Grenze bei Basel. Wenn der langjährige CDU-Landtagsabgeordnete aus Elstorf nun mit Beginn der neuen Regierungsperiode Anfang November in den politischen Ruhestand geht, will er diese Strecke bereisen. So ist der Plan.

Oft ist Heiner Schönecke auf der B3 unterwegs gewesen. Große Teile seines Wahlkreises erreicht er über diese Bundesstraße. Er hat den Bau der „B3 neu“ begleitet, deren geplante Fortsetzung soll seinen Heimatort irgendwann vom Durchgangsverkehr entlasten. Der Landtagsabgeordnete könnte auf der B3 sogar bis nach Hannover fahren, um an den Plenarsitzungen teilzunehmen.

Und auch lange vor seiner fast 20-jährigen Tätigkeit im Niedersächsischen Landtag steuerte der „Hühnerbaron“ die B3 regelmäßig an: Sie ist die Verkehrsader, die den seit 1914 in Elstorf ansässigen Geflügelhof Schönecke an den Markt anbindet. Oder besser an die Märkte. Denn mit der Direktvermarktung auf Wochenmärkten ist Schöneckes Betrieb groß geworden. Heute sind dort 120 Mitarbeiter beschäftigt.

Das Unternehmen konnte Heiner Schönecke bereits erfolgreich an seinen Sohn Henner übergeben. Die Abgabe der politischen Verantwortung erfolgt nun. Zu den Landtagswahlen an diesem Sonntag, 9. Oktober, ist Schönecke nicht mehr angetreten. Es war genug. „Vor Ihnen sitzen insgesamt 90 Jahre Politik“, sagt er im Gespräch mit dem Abendblatt – und dabei ist er erst 76 Jahre alt. Doch der Elstorfer rechnet vor: „Ich habe 30 Jahre Gemeinderat, 40 Jahre Kreistag und fast 20 Jahre Landtag auf dem Buckel.“

Politik hat sein Leben bestimmt und gehört seit rund 60 Jahren zu den großen Leidenschaften des Mannes, der von einem kleinbäuerlichen Hof stammt. Seit er 1968 Vorsitzender der Landjugend im Landkreis Harburg wurde, nehmen Sitzungen und Debatten in Schöneckes Alltag großen Raum ein. „Der Landjugend-Vorsitz war auch ein politisches Amt“, so Schönecke. Damals gab es zu Hause einige politische Auseinandersetzungen – allerdings unter anderen Vorzeichen als in den konservativen Elternhäusern vieler Gleichaltriger aus der linken 68er-Bewegung.

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„In meiner Familie gab es einige, die gewerkschaftlich organisiert waren. Und mein Vater fuhr regelmäßig ins ,rote’ Harburg zum Wochenmarkt. Ich habe wohl auf meine Weise gegen die SPD-Meinungen in meiner Familie opponiert“, erinnert sich Heiner Schönecke. „Als ich 1972 in die CDU eintrat, brach für meinen Vater seine Erziehungswelt zusammen. Wo wir doch bei den SPD-Leuten in Harburg so viele Eier verkauften...“ Harburgs damaliger SPD-Bezirksamtsleiter Hans Dewitz brachte es bei einem Besuch im Hause Schönecke auf den Punkt: „Er hat zu mir gesagt, ich sei wohl falsch abgebogen“, sagt Schönecke.

Seine Motivation für einen Eintritt in die CDU sei damals der Wunsch gewesen, sich in seiner Heimatgemeinde für die Belange der Bürger einzusetzen. Es war das Jahr der kommunalen Gebietsreform. Elstorf wurde von Neu Wulmstorf „okkupiert“. Und so begann Schöneckes lange politische Karriere auf lokaler Ebene: Von 30 Jahren im Gemeinderat war er 15 Jahre Fraktionsvorsitzender und 15 Jahre Ortsverbandsvorsitzender. Er hat die Ortsverbände Neu Wulmstorf und Elstorf zusammengeführt, viele Wahlkämpfe für die CDU in verantwortlicher Position bestritten und viel erreicht für die aufstrebende Gemeinde, immer mit einem Blick auf solide Finanzen.

„Ich bin ein Zahlengetriebener“, sagt der Haushaltspolitiker. „Ich will mit meinen Entscheidungen auf der sicheren Seite sein.“ Obwohl Elstorf und Neu Wulmstorf nicht zu seinem Wahlkreis gehörten und er dort längst nicht mehr im Rat sitzt, hat Schöneckes Wort dort immer noch Gewicht. Bis heute scheint sich die Neu Wulmstorfer CDU nicht ganz aus seinem großen Schatten bewegt zu haben. Ergebnisse wie einst der „CDU-Übervater“ erzielt dort kein Christdemokrat mehr.

Dem Kreistag des Landkreises Harburg gehörte Heiner Schönecke von 1976 bis 2016 an. Er war lange Jahre stellvertretender Landrat und stellvertretender Vorsitzender der CDU-Fraktion. Heute ist er Ehrenvorsitzender der Kreis-CDU. Den Höhepunkt seiner politischen Karriere erlebte der Elstorfer aber am 2. Februar 2003, als er mit 56,4 Prozent der Erststimmen im Wahlkreis Buchholz für Buchholz, Hollenstedt, Jesteburg und Tostedt erstmals direkt in den Niedersächsischen Landtag gewählt wurde. Das gelang ihm viermal hintereinander. Zuletzt gewann er den Wahlkreis Buchholz im Oktober 2017 mit 39,7 Prozent der Stimmen. Auch ein Heiner Schönecke musste Federn lassen...

Das für seine Verhältnisse bescheidenere Ergebnis von 2017 hatte allerdings keinen Einfluss auf Schöneckes Entschluss, sich aus der Politik zurückzuziehen. Oder nur indirekt. „Als ich nach der letzten Wahl feststellen musste, dass ich nun Alterspräsident des Parlaments war, habe ich einen gehörigen Schreck bekommen“, räumt Schönecke ein. „Das war ein Schlüsselmoment. Ich hab’ erstmals gedacht, nach so vielen Jahren ist es auch mal gut.“

Ihm ist klar, dass er seinen Nachfolgern einige Baustellen übergibt, zum Beispiel die nach wie vor unbefriedigende Situation im Personennahverkehr nach Hamburg und die damit verbundenen Auseinandersetzungen mit den Hanseaten über Vertaktungen, Tarifsysteme und einer Verlängerung der S-Bahnlinie S32. Oder das Thema Heidewasser, das dem Bauernsohn sehr am Herzen liegt. Und die A26, um die es bereits zu Beginn seiner politischen Laufbahn Gezerre gab. Doch wie oft hat Heiner Schönecke in Hannover als Fürsprecher mit großem Erfolg für die Anliegen des südlichen Hamburger Speckgürtels geworben, für die in der Landeshauptstadt nur wenige ein Ohr hatten.

Bekannt ist Schönecke auch für sein Engagement rund um das Freilichtmuseum am Kiekeberg und das Wohnheim in Wennerstorf, dessen Realisierung er persönlich zu einem seiner größten Erfolge zählt. „Es hat mir die meiste Befriedigung eingebracht“, sagt der Mann, der in den vergangenen Jahrzehnten viel Politprominenz erleben und mehrfach den Bundespräsidenten mitwählen durfte. Er wird sich auch weiterhin für die Zukunftswerkstatt in Buchholz engagieren und jährlich den Heiner-Schönecke-Preis ausloben.

Auch den Kaufmann und Landwirt Heiner Schönecke wird es weiter geben – besonders auf einem Gebiet: „Ich werde mich aktiv dafür einsetzen, dass wir uns in Neu Wulmstorf vermehrt Gedanken darüber machen, wie wir Erneuerbare Energie mit Biogas, Windkraft und Photovoltaik produzieren und wie wir klug damit umgehen.“ Seit 2010 ist Heiner Schönecke geschäftsführender Gesellschafter der Ardestorfer Bioenergie GmbH & Co. KG.

Und dann ist da noch der Fußball. Wenn seine Liebe zum HSV zuletzt auch etwas erkaltet ist und Schönecke nach Jahrzehnten als leidenschaftlicher Fan zum ersten Mal keine Dauerkarte mehr besitzt, hinterlässt er auch in dieser Hinsicht seinen ureigenen Fußabdruck: Der Elstorfer war Begründer des ersten Fanclubs des Hamburger Bundesligisten im Niedersächsischen Landtag – mit Sitz in Hannover. Ein Heiner Schönecke traut sich eben was.

Das zeigt sich auch in seiner Streitkultur, die viele eine „gesunde“ nennen. Er geht keiner Auseinandersetzung aus dem Weg, legt Wert auf Augenhöhe. Einen Disput mit ihm empfinden auch politische Gegner oft als Auszeichnung. Wer mit Heiner streitet, hat selbst etwas zu sagen. „Mich haben immer auch Leute geprägt mit anderen Meinungen“, sagt Schönecke. „Der politische Streit bringt einen ja weiter.“

Nur zu Hause muss es möglichst harmonisch zugehen – mit seiner Frau Ilse, den drei Kindern und fünf Enkelkindern. „Ich war viel unterwegs. Jetzt werde ich mehr Zeit für die Familie haben“, sagt Schönecke und möchte es selbst gern glauben. Trotz aller Aufgaben und Ehrenämter, die ihm noch bleiben. Er will öfter nach Helgoland fahren, dem Lieblingsort von ihm und seiner Ilse. Und die B3 entlang. Ist ja schon lange so geplant: „Diese Straße hat in meinem Leben wirklich eine große Rolle gespielt“, sagt Heiner Schönecke.

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